Ein gut angepasstes Geschirr schont den Bewegungsapparat des Hundes einschließlich aller Gelenke, die Wirbelsäule vom Kopfansatz bis hin zur Rutenspitze, den Kehlkopf und auch die Schilddrüse und die Haut. Die Betonung liegt auf „gut angepasst“.
Geschirre und Geschirrvariationen gibt es wie Sand am Meer: Norweger-, Sattel-, Führgeschirre in T- und X-Form sowie Spezialgeschirre für den Zugsport und Sicherheitsgeschirre. Es würde an dieser Stelle zu viel Platz einnehmen, diese alle besprechen und bewerten zu wollen. Außerdem ist der Körperbau eines Hundes genauso individuell wie seine Bewegungsgewohnheiten und -muster.
Grundsätzlich gilt es folgende Punkte zu beachten:
- Die Verbindungsstelle von Halsgurt und Bruststeg sollte auf dem vorderen Teil des Brustbeins liegen.
- Ein zu hoher Druck auf das Brustbein wird an die ersten Rippenpaare weitergegeben, die direkt mit dem Brustbein verbunden sind. Hierdurch entstehen unerwünschte Schon- und Ausgleichbewegungen.
- Ist das Rückenteil zu schmal, zu breit, zu schwer oder rutscht, kann das zu Hautirritationen führen, besonders aber auch zu Reizungen oder gar Entzündungen aller Strukturen im Bereich der Wirbelsäule. Das führt wiederum zu Fehlhaltungen aufgrund von Ausweichbewegungen.
- Ist der vordere, den Brustkorb umfassende Gurt zu eng, führt dies schnell zu muskulären Problemen wie auch der Druck auf die Rippen zu Schmerzen führen kann. Zudem wird die Atmung und damit die Leistungsfähigkeit behindert.
- Liegt ein zu hoher Druck auf dem hinteren, den Brustkorb umfassende Gurt, kann das sehr schmerzhaft für den Hund sein.
- Bei zu festgeschnallten Sicherheits- oder Zuggeschirren besteht sogar die Gefahr, dass Organe komprimiert werden, was diese möglicherweise in ihrer Funktion beeinträchtigt.
- Stößt der Ellenbogen bei jedem Schritt an das Geschirr stößt oder ist in seiner Bewegung eingeschränkt ist, wird der Hund automatisch seine Schrittlänge verkürzen. Die Muskulatur wird zunehmend verspannter, was dann zu Fehlhaltungen führt, die mittel- bis langfristig nie ohne Komplikationen sind.
- Das Schulterblatt muss bei jeder Bewegung und Geschwindigkeit frei beweglich sein: auf und ab sowie vor und zurück müssen für das Schulterblatt einschränkungsfrei möglich sein.
Das sensible Armgeflecht
In diesem Beitrag möchte ich allerdings auf eine ganz andere anatomische Struktur hinweisen, die im Bereich der Schulter liegt, und bei falschem oder schlechtem Sitz des Geschirrs zu heftigen Problemen führen kann. Die Rede ist vom Plexus brachialis, oft als Armgeflecht bezeichnet.
Bei diesem handelt es sich um ein hochsensibles Geflecht von Nerven, das aus den Spinalnerven hervorgeht, also dem Rückenmark entspringt. Es ist ein Teil des peripheren Nervensystems. Anders als der Name „Armgeflecht“ vermuten lässt, innerviert der Plexus brachialis nicht nur die Vorderbeine, sondern auch Schultern und Brust.
Seine Lage ist auf diesen beiden Fotos eingezeichnet.
Entsteht in diesem Bereich ein erhöhter und/oder permanenter Druck durch den vorderen der beiden Brustkorbgurte, kann es schnell zu Lahmheiten kommen, da unzählige Muskeln der Vorderlauf-, Schulter- und Brustregion über die verschiedenen Nerven des Plexus brachialis angesprochen werden. Auch Nervenentzündungen sind nicht selten, wenn an dieser Stelle etwas falsch sitzt.
Daher rate ich dazu, mal zu schauen, wo genau dieser vordere Gurt beim Geschirr sitzt. Auch wenn bei einem Bestandsgeschirr, das schön länger in Gebrauch ist, das aber an dieser Stelle zu eng oder zu nah anliegt, bisher noch keine sichtbaren Probleme aufgetreten sind, sollte für Abhilfe gesorgt werden. Denn es ist schwer zu erkennen, welche Ausgleichs- oder Ausweichsmaßnahmen der Körper schon getroffen hat und welche Bewegungsabläufe aufgrund von Druck oder permanenter Reizung bereits verändert wurden. Wir sehen unsere Hunde tagtäglich, weshalb die schleichenden Veränderungen nur für ein geschultes Auge sichtbar sind.
Außerdem sollte bei unklaren Lahmheiten der Vorderhand auch immer geschaut werden, ob und wenn ja welches Geschirr ein Hund trägt. Möglicherweise lässt sich so schon eine wichtige Ursachen erkennen und eliminieren.
Unphysiologische Bewegungen führen mittel- bis langfristig immer zu Problemen und Erkrankungen des Bewegungsapparates, weil durch sie die Strukturen, die anstelle der eigentlich dafür gedachten, übernehmen müssen.
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